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Äthiopien und die Weltfinanzkrise

4. November 2008
Von Christian Peters-Berries
Von Christian Peters-Berries

Addis Abeba 14.10.2008

Als seit Mitte September 2008 die Banken- und Finanzkrise weltweit immer weiter um sich griff, wurde dies in Äthiopien zunächst eher beiläufig registriert. Es bedurfte der düsteren Erwartungen des Weltbank-Präsidenten Zoellick vom 10. Oktober, ehe die äthiopische Öffentlichkeit überhaupt zur Kenntnis nahm, dass die Finanzkrise auch Auswirkungen auf Äthiopien haben könnte.

Bis dahin war zwar über Einiges in der Presse zwar berichtet worden, z.B.: über den Zusammenbruch der Investmentbank Lehmann Brothers, die Übernahme der Versicherungsgruppe AIG und der Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac durch den amerikanischen Staat oder aber über den scheinbar dicht bevorstehenden Staatsbankrott Islands mit nachfolgenden Einbrüchen an den internationalen Börsen.

Kaum jemand nahm jedoch ernsthaft an, dass Äthiopien von den Schockwellen dieses finanziellen Tsunamis auch betroffen sein könnte: Äthiopien hat ja keine Börse, die einbrechen kann; der Staat besitzt nicht das Geld, um es in hochverzinslichen, risikobehafteten Junk-Bonds (→ Junk-Bond) anzulegen; und mit Island hat man noch nicht einmal formale diplomatische Beziehungen geschweige denn ungeschützte Spareinlagen. Was sollte da eigentlich passieren?

Doch als alle Welt in der zweiten Oktoberwoche 2008 bestürzt auf den Beinahe-Zusammenbruch der wichtigsten Börsen schaute, begann es auch den ersten Äthiopiern zu dämmern, dass man/frau dieses gewaltige finanzielle Spektakel nicht nur schadenfroh als Zuschauer betrachten konnte, sondern dass sich auch für das Land auf dem Dach Afrikas Konsequenzen ergeben werden.

Folgendes Bild zeichnet sich nun ab:

  • Die für viele Familien in Äthiopien mittlerweile lebenswichtigen Überweisungen aus der vornehmlich US-amerikanischen Diaspora (rund 1,5 Millionen) drohen zurückzugehen, wenn in den USA eine Rezession einsetzen sollte, wovon mittlerweile auch die amerikanische Regierung ausgeht.

    Wie sensibel die Diaspora-Transfers auf wirtschaftliche Krisenerscheinungen reagieren, zeigen erste Zahlen aus dem März dieses Jahres: Die brasilianische Diaspora in den USA schickte vier Prozent  weniger als im Vorjahr zurück in die Heimat, sobald es die ersten Anzeichen einer wirtschaftlichen Abkühlung in den USA gab. Welche Lücken sich in den Einkommen äthiopischer Haushalte nach der Börsenimplosion und den negativen Auswirkungen auf die Realwirtschaft in den nächsten Monaten auftun werden, ist noch gar nicht abschätzbar.
  • Die riesigen - hastig geschnürten - Rettungspakete für den kollabierenden Finanzsektor in den USA (700 Mrd. USD), Großbritannien (700 Mrd. USD), Deutschland (500 Mrd. EUR) usw. lassen wenig Gutes für die Entwicklungszusammenarbeit in den nächsten Jahren erwarten.

    Äthiopien als einer der weltweit größten Empfänger von bi- und multilateraler Entwicklungshilfe (2007 erhielt das Land trotz schlechter Werte auf allen wichtigen Good Governance- und Demokratie-Indices rund zwei Mrd. USD) wird sicherlich unter den ersten Ländern sein, deren Zuschüsse gekürzt oder zumindest gestreckt werden.

    Angesichts der sich sozioökonomisch auch für die ländliche Bevölkerung gerade bemerkbar machenden positiven Auswirkungen des seit fünf Jahren anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwungs käme eine Kürzung der Entwicklungshilfe einer Katastrophe gleich: Die Millenniumsziele werden nun in noch weitere Ferne rücken und die vorsichtig-positive wirtschaftliche Aufbruchsstimmung - die ein Land benötigt, um einen nachhaltigen Aufschwung einzuleiten – wird sich wieder verflüchtigen.

  • Ein Teil des ehrgeizigen äthiopischen Modernisierungsprogramms  - vor allem die Modernisierung der Infrastruktur - wird mit kommerziellen Krediten finanziert. In Zeiten allgemeiner Unsicherheit, in der selbst als wohlhabende und solide eingeschätzte Staaten wie Island kurz vor dem Staatsbankrott stehen, werden die Kreditlinien für arme Länder wie Äthiopien nicht nur teurer, sie werden einfach gekappt.
  • Wenn Überweisungen aus dem Ausland und die Entwicklungshilfe spärlicher fließen, die verfügbaren Einkommen in Äthiopien also sinken, lässt auch die Bereitschaft der lokalen Banken nach, den momentan noch boomenden privaten Immobilienmarkt weiter mit Krediten zu finanzieren. Wie schwer es bereits ist, die zahlreichen nur halbfertigen Bauvorhaben in der Hauptstadt Addis Abeba fertig zu stellen, wird bei einer Fahrt durch die Stadt deutlich. Das Stadtbild ist geprägt von Baugruben, Bauten im Rohzustand und Bauskeletten. Letztere werden wohl noch länger in den Himmel ragen.

Die Regierung hält sich momentan noch zurück

Die äthiopische Regierung hat bislang nicht offiziell zur weltweiten Finanzkrise Stellung genommen. Einzig die Entscheidung, die staatlich kontrollierten Treibstoffpreise am 6.10.2008 um bis zu 30 Prozent (Diesel) anzuheben, kann als Reaktion auf die internationale Krise bewertet werden: Mit dem Abbau der Treibstoff-Subventionen soll der Staatshaushalt in Erwartung sinkender Einnahmen entlastet werden.

Die absehbaren finanziellen Einbußen bringt die äthiopische Regierung auch auf einem weiteren Feld in Bedrängnis. Sollte das umstrittene und in seiner Wirkung für die Zivilgesellschaft verheerende neue NGO-Gesetz wie geplant noch im Oktober 2008 verabschiedet werden, könnte das dem Land bis zu 500 Millionen USD an jährlichen Zuflüssen von internationalen NGOs kosten. Jedoch steht leider kaum zu erwarten, dass die äthiopische Regierung pragmatisch und situationsintelligent reagieren wird. Die Erfahrungen zeigen, dass in Zeiten von Krisen und Unsicherheiten, „eisern“ an einmal getroffenen Entscheidungen festgehalten wird (und seien sie auch noch so falsch), weil man sich politisch kein Anzeichen von Schwäche erlauben kann.

Was die westliche Finanzkrise eigentlich bedeutet

Aber die Krise des Weltfinanzsystems und die Art und Weise, wie die westlichen Kreuzritter des „freien Spiels der Märkte“ plötzlich Schutz beim bislang so verpönten Staat suchen und damit fundamentale Werte des westlichen Kapitalismusmodells aufgeben, ist bei den Anhängern eines starken, interventionistischen und autokratischen Staat aufmerksam registriert worden.

Die ursprünglich einmal vom albanischen Sozialismusmodell geprägte äthiopische Führung möchte zwar den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes, diesen aber nicht auf Kosten der eigenen Macht. Die mit dem westlichen Entwicklungsmodell einhergehende Forderung nach mehr Demokratie und Good Governance scheint daher der äthiopischen Regierung suspekt, zumal der Versuch zu mehr Transparenz 2005 beinahe schiefgegangen wäre. Das autokratische chinesische Modell ist für die Regierung viel attraktiver und gewinnt jetzt durch die  - mitunter auch konzeptionelle - Krise des westlichen Kapitalismusmodells an neuer Strahlkraft.

Auch wenn sich momentan die internationalen Börsen nach der konzertierten Rettungsaktion der wichtigsten westlichen Staaten wieder zu erholen scheinen und eine Kernschmelze des Finanzsystems vermieden ist, werden die Auswirkungen der Krise auf die globalisierten Finanz- und Warenmärkte sowie die Kosten der Rettungsaktion auch in Äthiopien zu spüren sein.

Diese Erkenntnis dringt nur langsam in das Bewusstsein der äthiopischen Führung und noch behutsamer in das der (urbanen) Öffentlichkeit. Während der Westen durch die Bankenkrise kurz und schmerzhaft aus seiner globalisierten Traumwelt gerissen wurde, werden sich die weniger spektakulären Auswirkungen der Krise in Äthiopien erst sukzessive, aber eben auch schmerzhaft bemerkbar machen. Leider ist Äthiopien trotz seiner Lage auf dem Dach Afrikas nicht vor den Auswirkungen des finanziellenTsunamis geschützt.